„Basisarbeit wird nicht honoriert“

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Sie kümmern sich um den Nachwuchs und begleiten viele Kinder bei ihren ersten Fußball-Gehversuchen: JUGEND-TRAINER. In unserer großen Serie berichtet einer von ihnen von seinen vielen Sorgen und Nöten.

Als die 36 Profiklubs und 13 Vereine aus der 3. und 4. Liga mit anerkannten Nachwuchsleistungszentren (NLZ) eine Selbstverpflichtungserklärung unterzeichnet hatten, sagte Andreas Rettig im kicker (27.August 2012): „Ich bin allen Vereinen sehr dankbar.“

13kicker100113aIn seiner Funktion als Leiter der Kommission Nachwuchsleistungszentren hatte der seit dem 1. Januar 2013 als DFL-Geschäftsführer tätige Rettig Überzeugungsarbeit bei den Klubs geleistet, um das zunehmend größere Abwerben von Jugendfußballern schon im Alter von 12, 13 Jahren aus den Talentschmieden der Konkurrenz einzudämmen. Seit dem 1. Januar sind Vereinswechsel von U-16- bis U-19-Spielern nur in Verbindung mit einem mindestens über ein Jahr befristeten Fördervertrag erlaubt. Zudem dürfen Spieler erst ab der U 16 in Internate aufgenommen werden, wenn diesen keine „Eliteschulen des Sports“ angegliedert sind und Berater an Gesprächen zwischen Verein, Spieler und dessen Eltern nicht teilnehmen. Ausbildungsentschädigungen — müssen gezahlt werden. Die Selbstverpflichungserklärung der Spitzenvereine hat die breite Basis im Amateur- und Jugendfußball registriert. Und sich zu Wort gemeldet Zum Beispiel Dirk Heß (45), Trainer der U15 des nahe der Finanzmetropole Frankfurt beheimateten FSV Bischofsheim. Ein Verein mit 600 Mitgliedern, in dem sich Heß und mehrere Mitstreiter intensiv und ehrenamtlich um 250 Kin¬der und Jugendliche in einer der größten Jugendfußball-Abteilungen des Fußballkreises Hanau kümmert. Heß hat einen Brief an Rettig geschrieben, der die Sorgen und Nöte der Amateurvereine zum Ausdruck bringt. Eine Kernaussagedieses Schreibens: „Die Basisarbeit wird von den spielerabnehmenden Großvereinen nicht genügend oder teilweise auch gar nicht honoriert. Anstatt der laut Verbandsjugendordnung falligen Ausbildungsentschädigung werden zum Beispiel für einen U-14-Hessenauswahl-spieler 100 Euro sowie eine Stadionführung geboten. Wenn man diese .Angebote‘ ablehnt, wird man vom aufnehmenden Verein und/ oder den Eltern des Spielers unter Druck gesetzt. Hier müsste einmal für alle Vereine ein deutliches Zeichen gesetzt werden.“

Heß, der sich selbst als „unangenehmer Verhandlungspartner für die Vereine oberhalb der Kreisliga“ bezeichnet, hat als der auch für Vereinswechsel von Jugendspielern zuständige ehrenamtliche Mitarbeiter des FSV Bischofsheim durchgesetzt, dass der Verein zunächst keinem Nachwuchsspieler mehr die Freigabe für einen Vereinswechsel im Sommer erteilt. Es widerspricht natürlich dem ursächlichen Wirken von Vereinen und Verbänden, das Fußballspiel zu fördern, wenn Kinder und Jugendliche dadurch nach Beendigung einer Saison bis zum 1. November am Spielbetrieb nicht teilnehmen können. Aber Vereine wie der FSV Bischofsheim wissen sich nicht mehr anders zu helfen, da eine wachsende Zahl von Vereinen aus höheren Spielklassen bis hin zur Bundesliga die in den Spielordnungen von DFB, DFL, Regional- und Landesverbänden bezifferten Ausbildungsentschädi-gungen nicht leisten wollen.

Im Gespräch mit dein kicker berichtet Heß von einem aktuel-len Fall eines B-Jugendspielers, der von einem Zweitligaverein umworben wird. Gemäß der hes-sischen Verbandsjugendordnung müsste der Zweitligaklubs pau-schal eine Ausbildungsentschädi-gung in Hohe von 1500 Euro plus jeweils 150 Euro für jedes Jahr der Vereinszugehörigkeit des Spielers beim FSV Bischofsheim zahlen. Geld, das der Amateurverein „für Bälle, Trikots, Koordinationsleitern, Hürden, Warmwasser, Strom,Trainerfortbildung etc.“ gut gebrauchen könnte, der Profiverein aber nicht zahlen will. Heß spricht aus seiner Erfahrung: „Man wird uns sicherlich wieder 200 Euro anbieten und den Besuch eines Heimspiels des Zweitligisten. Das werde ich selbstverständlich ablehnen.“ Der Personalberater lehnt sich auf und rindet im Fußballkreis Hanau weitere Mitstreiter in anderen Vereinen, die sich von den Großen nicht mehr abspeisen lassen wollen nach dem Motto: Friss oder stirb.

Die Ehrenamtlichen in den kleinen Vereinen erhoffen sich, dass die Funktionäre in den Landesverbänden über die Bezirke bis hinunter in die Fußballkreise streng auf die Einhaltung der Bestimmungen achten. Das freilich ist nicht einfach, da sich die Vereine beim Wechsel eines Spielers einig wer-den müssen. „Zwingen kann man keinen“ weiß Heß. Sanktionieren kann der Verband eben nur, wenn der aufnehmende Verein eine zuvor vereinbarte Ausbildungsentschädigung schuldig bleibt.

13kicker100113bHeß glaubt, dass die Funktionäre an der Spitze der Verbände und die Hauptamtlichen in deren Geschäftsstellen sich von der Ba-sis ziemlich entfernt haben. Das Schreiben an Andreas Rettig hat er auch an den Hessischen Fußball-Verband, an den Kreisjugendwart und an den Klassenleiter geschickt. Vor wenigen Tagen bekam er per Mail eine Antwort. „Da wurde mir in vielen Punkten absolut zugestimmt, aber zugleich auch wenig Hoffnung gemacht. Mir wurde erklärt, dass sich der FSV Bischofsheim im Großraum Frankfurt wegen unverschämter Forderungen unbeliebt machen würde. Dabei beharren wir nur auf dem, was in der Verbandsjugendordnung steht.“

Heß führt ein Beispiel an, wie getrickst und getäuscht wird, wenn große Vereine Talente aus den un-teren Spielklassen holen (wollen). Im Südwesten der Republik sei eine Spielrunde gegründet worden, an der die U-13-Mannschaften von Eintracht Frankfurt, TSG Hoffen-heim, 1. FC Kaiserslautern, FSV Mainz 05, 1. FC Saarbrücken und SV Wehen teilnehmen. Da es sich bei diesem Wettbewerb um Freundschaftsspiele handelt, können die von kleinen Vereinen abgeworbenen Spieler mitwirken, ohne – nach Zahlung einer Ausbildungsentschädigung – die Freigabe von ihrem bisherigen Verein bekommen zu haben. In der offiziellen Meister-schaftsrunde treten die Großvereine dann ohne diese Spieler an. „Dass die Junioren in dieser Südwestrunde stärker gefordert werden, ist gut für ihre Entwicklung. Dass das aber auf die Kosten der kleinen Vereine geht, ist bitter“, sagt Heß.

Der Mann, der sich bis zu 80 Stunden im Monat für den Nachwuchs in Bischofsheim engagiert, Trainingsanzüge und Trikots für seine Mannschaft organisiert („Dafür musste der Verein bis heute keinen Cent zahlen“) und das eigene Mitwirken in der SOMA-Mannschaft des Vereins in diese Zeitrechnung nicht einbezieht, hat Wünsche und Visionen.

Das Stützpunkttrainüig und die Fortbildungsmaßnahmen der Verbände gehören nach seiner Auffassung reformiert. „Die schlauen Vorträge eines Stützpunkttrainers helfen den kleinen Vereinen wenig. Sie sind zugeschnitten auf Vereine wie Eintracht Frankfurt. Es bringt wenig, wenn über Trainingsinhal-te mit kleinen Toren gesprochen wird, denn die haben wir nicht. Und es bringt nichts, über Übun-gen zu reden, für die drei Co-Trainer erforderlich sind, denn auch die haben wir nicht.“ Heß rät, dass die Fachkräfte der Verbände in die Vereine kommen, statt die Spieler und Übungsleiter für Aus- und Fortbildung an einem Ort zusammen-zuziehen. Eine Idee, die übrigens auch vom neuen DFB-Sportdirektor Robin Dutt verfolgt wird.

Die Aktion „DFB-Mobil“ findet Heß zwar nicht schlecht, sieht aber auch keine Nachhaltigkeit. „Es ist ein Erlebnis, wenn das Auto mit den hochmodernen Trainingsutensilien einmal im Leben eines Jugendspielers vorfährt, Tipps gegeben und Broschüren verteilt werden, aber im Alltag hilft das nicht weiter.“ Die 1000 Minispielfelder, die der DFB in den vergangenen Jahren in der Republik errichtet hat, sind in seinen Augen die effektivste aller Maßnahmen der Verbände: „Das ist super, bombig. Da spielt Groß gegen Klein, Mädchen und Jungen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Davon könnten wir zwei, drei Plätze mehr gebrauchen in Bischofsheim.“

© RAINER FRANZKE (Kicker Sportmagazin vom 10.01.2013

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